Westpfälzer Musikantenmuseum Mackenbach
Das Westpfälzer Musikantentum
Die Blütezeit
"Die Mackebacher komme!",
so ging es von Mund zu Mund, wenn sich an
irgendeiner Straßenecke eine Handvoll Musikanten
zum Spielen fertig machte. Dabei spielte es
überhaupt keine Rolle, dass bei weitem nicht alle
aus Mackenbach kamen. Der Name
Mackenbacher wurde schlichtweg zum
Sammelbegriff für diese Art des Broterwerbs.
Überall traf man auf ein dankbares Publikum.
Schon nach den ersten Tönen waren die
Musikgruppen von Menschen umzingelt.
Aus den Fenstern warf man ihnen Geld, eingewickelt in ein Stück
Papier, zu oder ließ die Münzen in den Hut fallen, den der Jüngste der Kapelle
den Zuhörern auffordernd hinhielt.
Ab 1880 kehren die ersten größeren Partien regelmäßig mit beachtlichen Einnahmen nach Hause
zurück. Mit diesem Jahr setzt die eigentliche Blütezeit des Westpfälzer Musikantentums ein. Alle, die
bis jetzt noch gezögert haben, greifen nun auch zum Instrument und versuchen sich so schnell wie
möglich einer Kapelle anzuschließen.
Die Schar der Musikanten in den Westpfälzer Dörfern wird immer größer. An die fünfhundert Männer
- alle Namen sind amtlich belegt - üben alleine in Mackenbach den Musikantenberuf aus. Im Jahre
1913 gibt es im Dorf zweihundertzwanzig ausgebildete Musiker, die einhundert Familien ernähren,
acht Lehrlinge, die bereits Anschluss an eine Kapelle gefunden haben, und vierunddreißig Lehrlinge
ohne Kapelle.
Bedenkt man, dass in diesem Jahr Mackenbach rund tausend Einwohner zählt, so kommt man auf
rund 26%, d.h. mehr als ein Viertel der Bevölkerung betätigt sich aktiv musikalisch.
Für den gesamten Westpfälzer Bereich konnten von Musikantenforscher Gerhard Willenbacher bis
heute an die 8 600 Musikanten ausgemacht werden!
Diese Blütezeit, die bis zum Ersten Weltkrieg anhält, verändert den Dorfcharakter von Grund auf:
Aus den armen Kleinbauern-, Handwerker- und Arbeiterdörfern sind wohlhabende Musikantendörfer
geworden. Nicht mehr das Sägen der Kübler oder das Hämmern der Schmiede und Nagelschmiede
geben beim Gang durchs Dorf den Ton an, sondern die zum Üben hervorgeholten Musikinstrumente,
die man nunmehr fast in jedem Haus finden kann.
Die Straße war jedoch keinesfalls das einzige Betätigungsfeld für unsere Mackenbacher Musikanten.
So spielten sie u. a. in Werks- und Militärkapellen, Theatern und Schauspielhäusern, Cafés,
Tanzlokalen, Tanzsälen, Hotels, Marionetten-Theatern, reisenden (Stummfilm-) Kinos, Hippodromen
(Reithallen), Menagerien (Tierschauen), Varietés, bei Vereins- und Familienfeiern, auf Messen und
Volksfesten wie z.B. dem Münchner Oktoberfest.
Doch der beliebteste Arbeitgeber war der Zirkus. Hier hatte
man ein festes Engagement, war finanziell und sozial
abgesichert und konnte trotzdem auf die Reise gehen.
Immer größer wurde der Radius der Europareisen, und man
konnte bis 1880 in ganz Europa auf Mackenbacher als
Wander- oder als Zirkusmusikanten treffen. In ihren
Reispässen findet man Eintragungen aus Dänemark,
Schweden, Norwegen, Finnland, England, Schottland,
Irland, Polen, Ungarn, Russland,
Italien, Spanien. Man
kann in den einzelnen Jahren so
etwas wie
Reisetrends feststellen. So waren das ab 1850 vor allem Frankreich, die
Schweiz und Österreich, später hauptsächlich England, Schottland und
Spanien, dann die skandinavischen Länder.
Ägypten, Südafrika, China, Japan, Australien und natürlich Amerika, das
sich bald zum beliebtesten Reiseland entwickeln sollte, waren die
nächsten Stationen. Weiter konnte man nun wirklich nicht mehr
kommen!
Die meisten von ihnen haben sich sehr intensiv mit den fremden
Ländern, ihren Sehenswürdigkeiten, ihren Menschen und ihre Sitten
beschäftigt. Und zum Glück haben sich einige die Mühe gemacht,
ihre Erlebnisse während der Reise aufzuschreiben.
Während die Deutschland- und Europareisenden den Winter zu Hause verbrachten, blieben die Weitgereisten,
die wochenlange Überseefahrten mit dem Schiff hinter sich hatten, oft über Jahre in der Fremde.
Einer kam von seiner letzten Amerikareise erst nach sieben Jahren nach Hause und sah seinen Sohn zum
allerersten Male, als der schon ein Schulkind war. Für den Knaben war der Vater zunächst mal ein Fremder, an
den er sich zuerst gewöhnen musste.
Es war dann die Musikantenfrau, die die Aufgaben des Mannes zu übernehmen und die Verantwortung für die
Familie zu tragen hatte. Sie allein musste sich nun, neben ihren normalen hausfraulichen Pflichten, um die
schulische und musikalische Ausbildung der Kinder sorgen und die im Hause anfallenden handwerklichen
Arbeiten erledigen, bzw. erledigen lassen.
Der einzige Kontakt zu ihrem Mann waren mehr oder weniger regelmäßig eintreffende Briefe oder
Ansichtskarten mit den Sehenswürdigkeiten dieser Welt. War der Angetraute in Deutschland oder dem
benachbarten Ausland unterwegs, durfte sie auch alle zwei bis drei Wochen auf ein Paket mit schmutziger
Wäsche warten, die sie dann umgehend zu waschen und an eine angegebene Adresse postlagernd
zurückzuschicken hatte.
Doch das Geld, das er regelmäßig nach Hause schickte, seine glückliche Ankunft, Geschenke, wie etwa ein
schickes Kleid aus Paris oder Amerika, Reiseandenken und die paar Wochen
im Winter, in denen die Familie wieder ganz eng beisammen sein konnte,
entschädigten für vieles.
Da die meisten Musikanten es vortrefflich verstanden, unterwegs ihre
persönlichen finanziellen Bedürfnisse so gering wie möglich zu halten und
ihren Lebensunterhalt sparsam zu organisieren, war der mitgebrachte
Sparstrumpf meist gut gefüllt. So erreichten die Musikantenfamilien im Dorf
einen gewissen Wohlstand, dem die anderen Dorfbewohner kaum etwas
entgegenzuhalten hatten.
Viele legten ihr Kapital in Immobilien an, kauften Grund und Boden, größere
bäuerliche Anwesen und Häuser oder gingen selbst ans Bauen, wobei sie ihre
eigenen Vorstellungen - Aufgeschnapptes aus fernen Ländern - mit in den Bauplan einbrachten. So kreierten
sie den Musikantenhaus-Stil, dessen auffälligstes Merkmal wohl die Frontspitz ist.
Nicht vergessen darf man an dieser Stelle diejenigen, die auf Grund ihrer Begabung und ihres Fleißes
besondere musikalische Leistungen vollbringen konnten:
Georg Drumm aus Erdesbach komponierte Hail America, den offiziellen Zeremonienmarsch des Weißen
Hauses in Washington, Hubertus Kilian aus Eßweiler wurde
Hofkapellmeister des chinesischen Kaiserhauses, Johannes Maurer
(Mackenbach) gelang der Sprung zum ersten Geiger im Opern-
Orchester von Kansas City, Karl Eckhardt (Mackenbach) blies die
Solo-Posaunenstimme im Cinncinnatti-Orchester, um nur einige
Beispiele zu nennen.
Das Ende
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges endete abrupt die Blütezeit des Westpfälzer
Musikantentums. Die Arbeitsstätten der Musikanten wurden rarer, da ihnen die Grenzen zum Ausland
weitgehend versperrt blieben. Auch im Inland liefen die Geschäfte, besonders in der harten
Nachkriegszeit, schlecht. Wer brauchte in diesen Zeiten musikalische Unterhaltung, bzw. wollte dafür
auch noch Geld ausgeben?
Die nach dem Krieg verstärkt einsetzende technische Entwicklung auf dem Gebiet der
Unterhaltungselektronik wurde zum Jobkiller für viele Musikanten: Schallplatte und Radio unterhielten
die Leute in der Stube und hielten sie davon ab den Straßenkapellen zuzuhören und ihnen Geld zu
geben. Ein Weiteres tat die Erfindung des Tonfilms im Jahre 1922, der die Stummfilmmusiker
arbeitslos machte.
Nachdem man die härtesten Nachkriegsjahre überwunden hatte und sich wieder den angenehmeren
Seiten des Lebens zuwandte, konnte mancher wieder als Straßen- oder Zirkusmusikant arbeiten.
Doch der nächste Schicksalsschlag sollte nicht lange auf sich warten lassen: Die Inflation machte das
verdiente Geld wertlos und stellte viele wieder vor das Nichts.
Das endgültige Aus kam mit dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Zwar konnten die
Musikanten aus ihrer Kunst noch etwas Kapital schlagen und zwar in Form von Lebens- und
Genussmitteln: Sie spielten ab Sommer 1945 samstagabends im Dorfsaal für die französischen
Besatzer zur Unterhaltung und zum Tanz auf. Doch das war nur eine vorübergehende Angelegenheit.
Einige Zirkusunternehmen kamen rasch wieder auf die Beine und brauchten natürlich Musiker. Hier
bekamen die bisher fest im Sattel sitzenden Mackenbacher Konkurrenz seitens der Theater- und
Konzerthausmusiker, die man aus Geldmangel aus ihrem ehemaligen Engagement entlassen hatte. Sie
strömten nun auf den Markt und verdrängten die alteingesessenen Zirkusmusiker. Später kam noch
die Konkurrenz aus den osteuropäischen Staaten
hinzu. Polnische und tschechische Musiker, die
man noch heute fast ausschließlich in den
Zirkuskapellen findet, sind für die Direktoren
billiger.
Schließlich waren auch die letzten Musikanten
gezwungen sich einer anderen
Haupterwerbsquelle zuzuwenden, was zu dieser
Zeit kein Problem war. Was blieb, war die
Musikausübung als Hobbymusiker in einer Tanz-
und Unterhaltungskapelle, wo man sich in der
Freizeit meist noch ein ordentliches Zubrot
verdienen konnte.
Wie schon in vergangenen Tagen war bei den Tanzkapellen oder Bands der Amerikaner der
begehrteste Arbeitgeber, diesmal jedoch auf deutschem Boden. Die amerikanischen Soldaten und
Offiziere wollten in ihren zahlreichen Clubs, derer es viele im Pfälzer Raum gab, unterhalten sein. Man
wollte neue Schlager, Rock 'n' Roll, Swing, aber auch Bayrische Gemütlichkeit. Und wer konnte das
besser als unsere Westpfälzer Musikanten?
Wenn Sie mehr über diesen einmaligen Gewerbezweig erfahren wollen, dann
sind Sie im Westpfälzer Musikantenmuseum genau an der richtigen Stelle.
Im meinem Buch "Mackenbach - Geschichten aus dem Musikantendorf",
erschienen im Frühjahr 1999, können Sie auf 250 Seiten alles über das
Mackenbacher Musikantentum, seine Entwicklung und seine Hintergründe von
den Anfängen bis zum Ende nachlesen.
Da das Buch mittlerweile vergriffen ist, habe ich mich entschlossen,
einige Kapitel daraus auf dieser Homepage zu veröffentlichen.